Du hast die Geburt deines Kindes als belastend empfunden und tust dies im Rückblick mehr denn je? Hier zeige ich dir neben Beratung und Therapie auch Selbsthilfe als einen Weg, wie du damit umgehen und eine Verarbeitung beginnen kannst.
Inhalt
Ich habe heute zwei gute Nachrichten und eine schlechte für dich. Die schlechte zuerst. Sie lautet: Satte 20 bis 50 Prozent aller Frauen erleben die Geburt ihres Kindes als belastend, schwierig oder sogar traumatisch. Die erste gute: Du bist also nicht allein, falls es dir ähnlich geht. Die zweite: Verarbeitung und Heilung ist möglich. Aber von vorne.
Was ist ein Geburtstrauma?
Ein Geburtstrauma bezeichnet körperliche oder seelische Verletzungen, die bei einem Neugeborenen oder bei der gebärenden Person während der Geburt entstehen. Medizinisch meint man damit meist physische Schädigungen des Babys, etwa durch Saugglocke, Zange oder einen schwierigen Geburtsverlauf. In psychologischer Hinsicht spricht man von einem Geburtstrauma, wenn die Geburt für Mutter (oder Vater) als stark belastend oder überwältigend erlebt wurde – etwa durch Kontrollverlust, Komplikationen oder mangelnde Unterstützung – und dies langanhaltende emotionale Folgen hat, wie Angstzustände oder eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS). Im Folgenden soll es um die psychologische Komponente unter Müttern gehen.
Geburtstrauma: Ursachen
Bei einem so großen Wort wie „Trauma“ denken viele, dass etwas enorm Schlimmes passiert sein muss. Im Zusammenhang mit Geburten etwa ein Notkaiserschnitt, eine Frühgeburt oder körperliche Gewalt durch das Personal. Ich spreche deshalb lieber von belastenden Geburten, weil sich darin viel mehr Mütter wiederfinden. Eine solche Belastung kann nämlich eine Vielzahl an – teilweise unscheinbar wirkenden – Ursachen haben.
Zu den offensichtlicheren Ursachen für eine belastende Geburt gehören sämtliche Interventionen und Komplikationen während des Vorgangs, aber auch besonders schnelle oder besonders lange Geburten oder eine Operation direkt nach der Geburt.
Weniger offensichtlich, aber mitunter noch deutlich prägender, ist der Faktor Angst. Wenn dir bei Routine-Untersuchungen in der Schwangerschaft – ob berechtigt oder unberechtigt – Angst um dich oder dein Kind gemacht wird, wenn du eine Diagnose erhältst, wenn du über den errechneten Termin gehst oder Medikamente nehmen musst – all das kann traumatisierend und belastend wirken. Auch Stress während der Geburt, abrupte Trennung vom Baby und mangelndes Bonding belasten und können langfristige Folgen haben. Von emotionaler (und teilweise sehr subtil angewandter) Gewalt habe ich da noch nicht einmal gesprochen.
Symptome: Anzeichen für ein Geburtstrauma
Zu den möglichen Anzeichen für eine belastende Geburt bei dir als Mutter gehören:
- Flashbacks / Erinnerungsblitze
- Dissoziation / Wegtreten
- Albträume, Schlafstörungen
- innere Unruhe
- Übererregbarkeit und Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS)
- innere Leere
- Schuld- und Schamgefühle
- Versagensängste
- übertriebener Perfektionismus im Umgang mit dem Kind
Du erkennst eines oder mehrere Anzeichen davon bei dir wieder? Was dir dabei helfen kann, eine traumatische Geburt zu verarbeiten, habe ich ausführlicher in einem anderen Blogpost aufgeschrieben. Im Folgenden zeige ich dir neben Beratung – zum Beispiel bei mir – und Therapie noch andere Möglichkeiten auf.
Geburtstrauma: Wann hilft mir zur Verarbeitung eine Beratung?
Eine Beratung bzw. Coaching und Begleitung reicht aus, wenn…
- du belastet bist, aber alltagsfähig bleibst.
- du über die Geburt sprechen möchtest, um sie emotional einzuordnen.
- du Unsicherheiten klären möchtest.
- du Verständnis, Entlastung und Orientierung suchst.
- du das Gefühl hast, mit empathischer Begleitung wieder in deine Kraft zu kommen.
- du einzelne Gefühle (zum Beispiel Trauer, Schuld, Überforderung) ausdrücken und loswerden möchtest.
- du präventiv arbeiten willst, zum Beispiel zur Stärkung der Bindung oder Psychoedukation.
Beratung ist in jedem Fall ein guter Anfang. Berater*innen oder Coaches begleiten dich auch oft parallel zu einer bestehenden Therapie oder solange, bis du einen Therapieplatz bekommst. Eine gute Begleitung erkennt zudem, wann der gemeinsame Rahmen nicht mehr reicht und unterstützt dich wertschätzend bei der Weitervermittlung.
Geburtstrauma: Wann brauche ich eine Therapie?
Eine Therapie empfehle ich dir, wenn…
- du akut wiederkehrende Flashbacks, Albträume oder intrusive Erinnerungen hast.
- du dich emotional sehr abgestumpft fühlst.
- du anhaltende Angst-, Panik- oder Schuldgefühle erlebst.
- du Symptome einer postpartalen Depression hast.
- du dich im Alltag so stark eingeschränkt fühlst, dass du diesen nicht mehr bewältigen kannst (z. B. Schlaf, Beziehung, Bindung zum Baby).
- du Suizidgedanken hast oder dich selbst gefährdet fühlst.
In jedem einzelnen dieser Fälle braucht es psychotherapeutische Unterstützung und gegebenenfalls ärztliche Begleitung.
Welche Therapieformen kommen bei einer belastenden Geburt infrage?
Vorweg: Die Übergänge zwischen Formen der Beratung und der Therapie können fließend sein.
EMDR
EMDR steht für „Eye Movement Desensitization and Reprocessing“ (auf Deutsch: Augenbewegungs-Desensibilisierung und Wiederaufarbeitung). Es handelt sich um eine Methode, die besonders zur Behandlung von posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) eingesetzt wird – also auch bei Geburtstraumata.
Während einer EMDR-Sitzung wird die betroffene Person gebeten, sich an die belastende Erinnerung zu erinnern, während sie gleichzeitig rhythmischen Augenbewegungen oder anderen bilateralen Reizen (zum Beispiel Tönen oder leichten Berührungen) folgt. Diese Doppelbelastung soll helfen, die Erinnerung zu „verarbeiten“ und emotional zu entlasten.
EMDR kann Betroffenen nach traumatischen Geburtserfahrungen helfen, Erlebtes neu einzuordnen, Symptome wie Flashbacks oder Ängste zu reduzieren und langfristig seelisch zu heilen.
Somatic Experience
Somatic Experiencing (SE) ist ein körperorientierter Ansatz zur Verarbeitung von Traumata, der davon ausgeht, dass traumatische Erlebnisse nicht nur psychisch, sondern vor allem im Nervensystem und Körpergedächtnis gespeichert werden. Entwickelt wurde die Methode vom Traumaforscher Peter Levine.
Im Zusammenhang mit Geburtstrauma kann SE helfen, körperliche Spannungen, emotionale Blockaden oder anhaltende Stressreaktionen zu lösen. Dabei arbeitet man weniger mit dem Erzählen oder „Durchleben“ des Ereignisses, sondern vielmehr mit feinen Körperwahrnehmungen, innerem Erleben und der Regulation des Nervensystems. Ziel ist es, die natürliche Fähigkeit des Körpers zur Selbstregulierung und Heilung zu reaktivieren.
Typisch für SE ist:
- Arbeit im Hier und Jetzt, ohne in das Trauma „hineinzuziehen“
- sanftes Spüren von Körperempfindungen (zum Beispiel Enge, Zittern, Wärme)
- behutsames Entladen von im Körper gebundener Überlebensenergie (zum Beispiel Flucht-/Kampfimpulsen)
SE wird oft von speziell dafür ausgebildeten Traumatherapeut*innen angeboten.
Imaginative Traumatherapie
Imaginative Traumatherapie ist ein psychotherapeutischer Ansatz, bei dem gezielt mit inneren Bildern, Vorstellungen und Symbolen gearbeitet wird, um traumatische Erfahrungen zu verarbeiten und das emotionale Gleichgewicht wiederherzustellen.
Zentrale Elemente dieser Methode sind:
- das Arbeiten mit inneren Schutzfiguren (zum Beispiel einem „inneren sicheren Ort“ oder einem „inneren Helfer“)
- das Stärken von Selbstschutz und Abgrenzung
- das Verändern belastender Bilder durch Vorstellungskraft (zum Beispiel die Geburt „neu schreiben“)
- das bewusste Gestalten positiver innerer Szenen, um Stabilität und Sicherheit zu fördern
Imaginative Verfahren fördern oft den Zugang zu unbewussten Ebenen des Erlebens und sind besonders hilfreich, wenn das Erlebte stark mit Gefühlen von Ohnmacht, Hilflosigkeit oder Kontrollverlust verbunden ist – wie es bei Geburtstrauma oft der Fall ist.
Diese Methode wird u. a. in der Psychodynamisch Imaginativen Traumatherapie (PITT) nach Luise Reddemann angewendet, oft in Verbindung mit anderen traumatherapeutischen Verfahren. Ich selbst nutze sehr oft Elemente von Luise Reddemann in meinen Begleitungen.
Systemische Beratung
Systemische Beratung betrachtet Probleme nicht isoliert, sondern im Zusammenhang mit dem sozialen Umfeld – etwa Familie, Partnerschaft oder Herkunftssystem. Bei einem Geburtstrauma hilft sie, die Wechselwirkungen zwischen individuellen Erlebnissen und Beziehungen zu erkennen, Rollen zu klären und neue Perspektiven oder Lösungen zu entwickeln.
Diese Form der Beratung biete ich dir sehr gerne an, zum Beispiel als Coaching nach belastender Geburt. Meine Haltung basiert auf der systemischen / lösungsorientierten und personenzentrierten Beratung. In den Gesprächen nutze ich zusätzlich Elemente aus der kognitiven Verhaltenstherapie, der personenzentrierten Gesprächstherapie sowie der positiven Psychologie.

Möglichkeiten zur Selbsthilfe
Selbsthilfegruppen
Zu Beginn dieses Blogposts hatte ich eine gute Nachricht für dich. „Du bist nicht allein“, lautete sie. Wenn du diese Botschaft auch in der Verarbeitung deiner belastenden Geburt spüren willst: Selbsthilfegruppen bieten einen geschützten Raum, in dem Betroffene sich mit anderen offen austauschen, Erfahrungen teilen und sich gegenseitig emotional stärken können. Gerade bei Geburtstrauma kann das Gefühl, nicht allein zu sein, entlasten und Heilungsprozesse unterstützen.
In Deutschland gibt es mehrere Selbsthilfegruppen und Organisationen, die Unterstützung bei Geburtstraumata anbieten. Du findest im Internet unzählige Anlaufstellen dafür, ein Beispiel ist folgender Verein, dessen Arbeit ich selber sehr schätze:
Schatten & Licht e.V. ist ein bundesweiter Verein, der Selbsthilfegruppen, Online-Foren und Beratung für Frauen mit peripartalen psychischen Erkrankungen wie postpartaler Depression oder Geburtstrauma organisiert.
Heilgespräch & Bondingbad nach Brigitte R. Meißner
Das Babyheilgespräch ist ein bewusst gestalteter Raum, in dem die Mutter mit dem Baby über die Geburt spricht. Das Bondingbad baut darauf auf, setzt nochmal alles auf Anfang, weckt und befriedigt Urbedürfnisse, verschafft dir neues Vertrauen in die eigenen Kompetenzen als Mama, stärkt Urvertrauen und sagt deinem Kind: „Jetzt bin ich da und kann geben“. Mehr darüber erfährst du in meinem Blogpost „Geburtstrauma lösen: So gut helfen Bondingbad und Babyheilgespräch nach belastender Geburt Mutter und Kind“.
Geburtsbericht anfordern
Klingt selbstverständlich, ist es aber nicht: Beantrage, sofern du in einer Klinik entbunden hast, deinen Geburtsbericht – dein gutes Recht nach § 630g BGB (Patientenrechtegesetz). Achtung: Wenn du den Bericht zur traumasensiblen Aufarbeitung nutzen möchtest, kann es sinnvoll sein, dies vorher mit einer Therapeutin oder Doula zu besprechen – manche Inhalte können belastend oder schwer verständlich sein. Ich rate nicht allen Frauen zu diesem Schritt.
Eigenen Geburtsbericht schreiben
Hilfreich ist es auch, einen eigenen Geburtsbericht zu schreiben, um deine eigene Geschichte zu erzählen. Dies hilft vielen Frauen bei der Integration des Erlebten, vor allem dann, wenn sie das Gefühl haben, ihnen wurde die Erfahrung abgesprochen oder ihre Geschichte wurde nicht ernst genommen.
Darüber sprechen
Klingt noch viel selbstverständlicher, ist es aber ebenfalls nicht: Sprich über deine Erfahrungen, Sorgen und Ängste. Mit Fachleuten in einer Beratung, mit deinem Kind beim Babyheilgespräch – und zuallererst mit Vertrauenspersonen. Ob das nun der oder die Partner*in ist, ein Elternteil oder eine gute Freundin. Und höre nicht auf die Menschen, die deine Sorgen herunterspielen. Sondern auf die, die dich ernstnehmen.
Bonding, Bonding, Bonding
Selbsterklärend. Durch Haut – auf – Haut – Kontakt wird das Liebeshormon Oxytocin ausgeschüttet. Es hilft dabei, zu entspannen. Dadurch werden wiederum Endorphine ausgeschüttet, die dafür sorgen, dass du dich wohler fühlst in deiner Haut. So stärkst du dein Wohlbefinden und gleichzeitig die Bindung zu deinem Kind.
Wochenbett halten
Das eine bedingt das andere: Die Einhaltung des Wochenbetts ist keine Strafe, sondern von grundlegender Bedeutung für deine Erholung von Schwangerschaft und Geburt und für dein neues Selbstverständnis als Mutter. Übernimm dich nicht, auch wenn es dir scheinbar schnell wieder gut geht. Lass dir helfen. Denn: Auch ein solches Gefühl von „Funktionieren müssen“ kann ein Geburtstrauma auslösen oder verstärken.
Wann ist der richtige Zeitpunkt?
Spoiler: Den richtigen Zeitpunkt, um deine Geburt zu verarbeiten, gibt es nicht. Die meisten Frauen melden sich etwa zwischen dem 6. Lebensmonat und um den ersten Geburtstag des Babys – oder bei erneuter Schwangerschaft, weil dann wieder alles hochkommt. Es gibt aber auch viele Frauen, die sich melden, wenn die Folgegeburt komplikationslos verlief und sie dann merken, dass sie die Geburt ihres ersten Kindes noch verarbeiten wollen. Weil dort manche Erfahrungen eben doch nicht „normal“ waren.
Solltest auch du auf der Suche nach einer Beratung sein, weil ein schwieriger Start mit deinem Baby hinter dir liegt oder du noch mittendrin steckst: Melde dich gerne bei mir. Ich bin mir sicher, dass wir gemeinsam herausfinden werden, was dich wirklich belastet und wie ich dir beim besseren Umgang damit helfen kann. Denn: Es ist nie zu spät, eine belastende Geburt aufzuarbeiten. Egal, wie lange sie her ist.